Von der Fuchskrittelei zur Fuchsschelte

Begonnen von Coolwater, 10. Jul. 2023, 14:10:23

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Theodora Tuschel

Zitat von: \"Ostsibirischer Korjakenknacker\"Worauf ich hinauswill: ,,moderner" ist nicht automatisch ,,besser".

Habe ich auch nicht gesagt. Aber \"moderner\" heißt oft: neue Ideen, neue Ansätze, neue und weiterführende Gedanken. Da hat sich in der Übersetzungswissenschaft in den letzten zwanzig, dreißig Jahren viel getan.

Im übrigen geht es hier nicht um Bibelübersetzungen und erst recht nicht um Genderforschungsschelte. Es geht um eine Auseinandersetzung mit Kritik an den Duck-Übersetzungen von Erika Fuchs aus außerdonaldistischer Sicht. Auch wenn die Kritik von Alexander Braun in \"Alfonz\" 3/2023 unnötig polemisch daherkommt, ist sie doch sachlich ernst zu nehmen. Mit dem Einwand, das sei keine Übersetzung, sondern eine Übertragung, macht man es sich allzu leicht. Dieses Argument greift nicht, weil es das große Spektrum der Übersetzungstechnik und Übersetzungskunst zwischen Google Translate und der höchsten Kunst der Lyrikübersetzung auf lediglich zwei Kategorien runterbricht: \"Übersetzung - simpel, wortgetreu, kunstlos\" und \"Übertragung - anspruchs- und qualitätsvoll\". Leider eine verbreitete Ansicht.

Noch viel einfacher ist es natürlich zu sagen: Die Erde ist flach, und dabei bleibt\'s, und was andere Leute dazu zu sagen haben, ist ohnehin Müll. Ich halte eine differenzierte, neuere übersetzungswissenschaftliche Forschungen berücksichtigende Kritik der Fuchs-Texte für lohnend. Den inneren oder Wissenschaftlichen Donaldismus berührt das nicht, da sind die Fuchs-Texte sakrosankt. Die Auseinandersetzung mit Fuchs I und Fuchs II ist schwierig genug. Aber außerhalb dieses geschlossenen Denkraumes darf man kritische Fragen an den von Erika Fuchs geschaffenen Textkorpus stellen. Ich wünschte mir nur etwas mehr Sachlichkeit und etwas fundiertere Fachkenntnis.

Coolwater

Zitat von: ju313Wenn ich mal annehme, dass der Übersetzer pro Tag 3 Seiten abarbeitet (Überlegung und Reflektion muss schon sein) ...

Nehmen wir an, so ein Übersetzungsbeamter hockt am Tag acht Stunden lang auf seinem Hintern. Das hieße nach Deiner Rechnung, er ist mit einer Barks-Seite mehr als zweieinhalb Stunden lang befaßt. Kommt das der Wirklichkeit nahe? Ich habe keine Erfahrung im Comicübersetzen, drum frag\' ich.

Auch wenn die Übersetzung eines Barksberichts mehr Überlegung benötigt als die einer Nullachtfuffzehn-Goofygeschichte – sooo viel ist der Sprechblasentext auf einer Barksseite gewöhnlich nicht, und die Berichte sind im Umfang begrenzt, und die Handlung ist nicht überverwickelt oder gar wirr, wie in manch anderen Werken, so daß man beim Barks keine Zeit damit ver(sch)wenden muß, durchzusteigen, was überhaupt \"los ist\". Somit könnt\' ich mir denken, einer, der eingetaucht ist in seinen Barks, schwimmt doch etwas fixer, wenn er im Barksfluß drin ist.

Beim Comicübersetzen kommt freilich hinzu, daß man die Sprechblasen ausmessen muß, um zu wissen, wieviel Platz man hat (die Schrift ist gewöhnlich auch eine andre als in der Urfassung – die Amis, nicht nur der Barks, scheinen ja nix andres zu kennen als handgeletterte Großbuchstaben, derweil in Deutschland zumindest bei Billigheftchen Großkleinmaschinenschrift noch immer trumpft), und dies ist eine nervige Arbeit, die man am besten nebenbei beim Fernsehen tut – so haben\'s vor Jahren Ehapa-Übersetzer berichtet. Aber, keine Ahnung, vielleicht schreiben die heut am Bildschirm gleich in die Sprechblasen rein. Irgendwann sollte die \"Rationalisierung\" ja einziehen ...

Coolwater

Zitat von: \"Theodora Tuschel\"Speziell bei \"Land of the Pygmy Indians\" frage ich mich, warum sie auf jegliche historische und literarische Anspielung auf Hiawatha und Longfellow verzichtet hat. Nicht erkannt? Oder meinte sie, das würde in Deutschland in den 1950ern niemand kennen?

Vielleicht auch gar nicht gekannt. Die englische und amerikanische Literatur ist reich, und die Fuchs kannte da gewiß viel, aber nicht alles. Kennerin der englischen und amerikanischen Literatur war sie ja sozusagen nur im Nebenberuf. Davor kam erst mal die – gleichfalls reiche – deutsche Literatur.

Wenn man sich entschließt, Kenner der slowenischen oder färöischen Literatur zu werden, schafft man\'s vielleicht, alles zu lesen, was groß und bleibend ist. Aber deutsche Literatur plus englisch-amerikanische Literatur und dazu noch einen auf Kunstgeschichte machen – da reicht ein Leben nicht, \"alles\" mitzunehmen.

Ich hab\' mal ein Interview mit Fritz Raddatz gelesen, wo er über seine Kollegen Literaturexperten spöttelte, die immer so täten, als ob sie alles gelesen hätten. Raddatz bekannte sich dann auch zu einigen Werken, die er nicht gelesen hatte. Habe da aber nur Goethes Farbenlehre in Erinnerung.

duck313fuchs

Dr. Braun verkennt nur, daß es den Donaldisten nicht um die Übersetzung irgendeines Textes geht, sondern neben dem zeichnerischen Werk von Carl Barks allein nur der Fuchs-Text Grundlage des Donaldismus ist, egal ob es sich insoweit um \"gute\" oder \"schlechte\" Übersetzungen handelt. Auch vergißt er, daß die Geschichten in der Micky Maus sich überwiegend an Kinder/Jugendliche wenden sollte, denen der amerikanische Zeitgeist der 50ger bis 70ger Jahre und auch die amerikanische Literatur nicht so bis gar nicht geläufig waren. Es ist gerade der Verdienst von Frau Dr. Fuchs, daß sie dem zeichnerischen Werk von Carl Barks eine für die Leser der damaligen Zeit verständliche und nachvollziehbare Grundlage gab.
Soweit er am Text von Frau Dr. Fuchs kritisiert, daß sie die Zwergindianer als \"Zwerge\" bezeichnete, einem Begriff für Fabelwesen, was im Kontext nicht angemessen wäre, vergißt er, daß es in dem Bericht nur so von Fabelwesen wimmelt. Ich habe hier noch keine sprechende Ente gesehen, auch können sich die Zwergindianer \"normal\" mit den Tieren ihrer Umwelt unterhalten, was es so auch nicht gibt.
Darüberhinaus wirft er den Donaldisten vor, daß sie Entenhausen als Realität ansehen, wobei es sich nur um Literatur handle. Wenn dem so ist, kann Frau Dr. Fuchs bei Verwendung des Wortes Zwerge kein Vorwurf gemacht werden, da sie ja dann über eine Fabelwelt berichtete.
Dr. Braun zieht seine Kritik aus einem Bericht über Entenhausen und übersieht dabei, daß es auch viele Berichte gibt, in denen der Text von Frau Dr. Fuchs, wenn es um einen Vergleich der Texte ginge, weit überlegen ist.

Coolwater

Archiv für Religionswissenschaft, 1933: https://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/Content/56646/010284-1933.pdf Der Beitrag von Paul Schebesta, Seite 105 bis 140. Die Suchfunze liefert mir 35 Ergebnisse für \"Zwerg\". In Schebestas Stück geht\'s aber nicht um Schneewittchen und die sieben Zipfelmützen, sondern um: \"Religiöse Ideen und Kulte der Ituri-Pygmäen (Belgisch-Kongo)\". Der Verfasser war nicht wer, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte, sondern, Wikipedia, \"ein Steyler Missionar, Ethnologe und Erforscher\", da kommt\'s schon, \"sogenannter Zwergvölker (Pygmäen, Negritos) Afrikas und Asiens, zu denen er mehrere Forschungsreisen unternahm\". https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Schebesta Man sehe sich auch die Titel seiner Schriften an.

Jeder, der mal älteres völkerkundliches Schrifttum in die Hand genommen hat (und nicht nur in die Hand genommen, sondern gelesen), weiß, daß früher auch gestandene Gelehrte die kleinwüchsigen Völker in Afrika und Asien ohne weiteres als \"Zwerge\" und \"Zwergvölker\" bezeichnet haben. Davon abgegangen ist man wohl so langsam erst in der Nachkriegszeit (sechziger, siebziger Jahre). Braun trägt manchen guten Punkt vor, aber beim Vorwurf, Fuchs habe den Zwergindianern einen Märchennamen aufgepfropft, konnte ich nur den Kopf schütteln. Ich will ihm nicht ankreiden, daß ihm das offenbar nicht bewußt war, aber man muß deutlich betonen, daß dieser eine Pfeil (Name aus dem \"Märchenreich\") ins Leere geschossen ist. Recht hat er dagegen, wenn er die Fuchs dafür rüffelt, daß die Zwergindianer sich selber so nennen. Das ist in der Tat ein bißchen bekloppt, zumal da Barks ihnen ja einen gescheiten Eigennamen verpaßt hat.

Man kann nun sagen, es ist bescheuert, von echten kleinwüchsigen Menschen und ganzen Völkern als Zwergen zu reden, und mag als Fortschritt verbuchen, daß man\'s heut nicht mehr tut. Aber soll man die Fuchs schelten, weil sie zu ihrer Zeit nicht päpstlicher war als der Papst? Die Frau war Jahrgang 1906, die Zwergindianerübersetzung stammt von 1961. In die völkerkundliche Redeweise ihrer Tage paßt \"Zwergindianer\" ausgezeichnet hinein. Und wie gesagt: Mit \"Pygmäen\" meint man im Deutschen nur die Kleinwüchsigen Afrikas, aber nicht die Südasiens (\"Negritos\"), \"Pygmäen\" wäre für die \"Pygmy Indians\" im Deutschen ein Mißgriff gewesen.

Während man kleinwüchsige Menschen oder Völker heute nicht mehr Zwerge nennt, ist das Wort im Tierreich noch gang und gäbe: Zwergelefant, Zwergohreule, Zwergkaninchen, Zwergwal, Zwergflußpferd und, und, und. Und die Sterndlgucker kennen Zwergplaneten und Zwerggalaxien. Da denkt auch niemand an kleine Manschgerln mit langen Bärten und Zipfelmützen.

Beppo

Ich glaube, ich hab schon mal auf dieses Buch



(erschienen in den 1970ern in der Ostzone) hingewiesen.
Grunz!
Beppo

Ein Kojote ist und bleibt ein Hühnerdieb!

Coolwater

Während die Kleinwüchsigen in Afrika und Südasien ein alter Hut sind, sind \"Zwergindianer\" bei uns scheint\'s ebenso eine Bombe wie auf Stella Anatium: https://www.furche.at/kritik/ausstellung/zwergindianer-in-venezuela-6611222 https://www.jstor.org/stable/25753240

Ob Afrika, Asien oder Amerika: In unsrer Welt sind alle Kleinwuchsvölker in Äquatornähe in der tropischen Zone  zu finden, was offenkundig mit einer Anpassung an den Lebensraum zu tun hat (siehe hier die Karte auf Seite 6): https://www.zobodat.at/pdf/ANNA_84A_0085-0095.pdf Von \"Zwergindianern\" im kanadischen Waldland weiß man bei uns nix. Aber in solchen Dingen ticken die Uhren auf Stella Anatium eh ganz anders. Letztlich sind auch die Anat(o)iden \"Zwerge\".

Coolwater

Übersetzerin Erika Fuchs gilt vielen Freundinnen und Freunden des Donaldistischen als sakrosankt. Zu Recht? O nein, ruft Alexander Braun energisch dazwischen. Die Kolumne ,,Times mager". https://www.fr.de/kultur/timesmager/kluge-enten-92411258.html

Ohne Tormaut lesbar.

Direpol

Ich schätze Judith von Sternburg als Opern- und Literaturkritikerin, aber hier liegt sie völlig daneben.

Beppo

> Ich schätze Judith von Sternburg als Opern- und Literaturkritikerin, aber hier liegt sie völlig daneben.

Sie berichtet ja nur und gibt die Erkenntnisse von Alexander Braun weiter, was ja auch zum Job einer Medienlumpenden dazugehört.

Braun selbst ist ein anderes Kaliber. Ich bin nicht bereit, 8,95 € für seinen Artikel auszugeben, aber mein Eindruck aus der ausführlichen Diskussion ist, dass er mit einem Prokrustesbett voller politisch korrekter Vorurteile an sein Thema herangegangen ist. Garbage in, garbage out. Ich wäre ohne Weiteres in der Lage, mit solchen Voraussetzungen anerkannte Klassiker wie, sagen wir mal, die Zauberflöte oder Moby-Dick als üble rassistische Machwerke zu entlarven. Nichts leichter als das, aber dient es auch der Wahrheitsfindung?
Grunz!
Beppo

Ein Kojote ist und bleibt ein Hühnerdieb!

Coolwater

Beim Lesen des Wikipediaartikels zu Harry Rowohlt stieß ich auf ein nettes Bongmöhchen Karl Krausens:

\"Der Literaturkritiker Hellmuth Karasek äußerte, Rowohlt sei nicht nur ein begnadeter Kinderbuchübersetzer gewesen, sondern auch ein Vermittler irischer Literatur: \'Man könnte sagen, dass er das Karl-Kraus-Diktum befolgt hat: \'Übersetzen? Üb: ersetzen\'. Er hat also Bücher neu geschaffen durch seine Übersetzung, kongenial in den deutschen Slang aus der irischen Alkoholsprache übertragen.\'\" https://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Rowohlt#Rezeption

Da mußt\' ich gleich an unsre Fuchs denken (mal abgesehen von der Alkoholsprache).

Überhaupt der Rowohlt: Was Jahrgangsverortung, Lebenshintergrund und Behaarung angeht, kommt er daher wie ein Bilderbuchdonaldist. Ich finde aber nichts im Netz, was darauf hindeutete, daß er den Barks und die Fuchs je gelesen, geschätzt, geehrt hat. Dabei war Sprachkunst doch genau seins. Aber vielleicht hat er als Kind nur klassische Jugendbücher wie den Lederstrumpf verschlungen – hätt\' er was verpaßt!

Theodora Tuschel

Ich war mal mit Harry Rowohlt und anderen Leuten in einer Kneipe. Da kam das Gespräch auf Donaldismus. Er fragte mich in strengem Prüfungston, wie Dagobert Duck auf Amerikanisch heißt. Ich wusste die Antwort, und damit war das Thema für ihn erledigt. Eine Affinität zu Barks, Fuchs oder gar dem Donaldismus war nicht zu spüren.

Theodora Tuschel

Schon interessant, mal über den Tellerrand zu gucken. Zuerst fiel mir bei den dänischen Donaldisten auf, dass sie unsere Verehrung für Erika Fuchs seltsam bis komisch finden. Dann fand ich in anderem Zusammenhang diesen Artikel: https://kjelljs.github.io/blog/2021/03/29/egg. Norwegisch kann nicht jeder lesen, aber heute gibt es ja recht gute Maschinen dafür wie DeepL Translate (es muss nicht immer Gockel sein). Der Autor vergleicht die Übersetzungen von \"Im Land der viereckigen Eier\" von Erika Fuchs und ihrer norwegischen Kollegin Vivi Aagaard. Selbstmurmelnd (Lokalpatriotismus) gewinnt Aagaard 6:2.

Interessant sind die Argumente des Verfassers. Gar nicht schlecht und sehr bedenkenswert! Natürlich hat er, ähnlich wie Alexander Braun in \"Alfonz\" (weiter oben in diesem Faden) sich eine Geschichte ausgesucht, die übersetzerisch besonders interessant ist. Grade hier - wie auch in der Geschichte von den Zwergindianern - hat Erika Fuchs sich nicht mit Ruhm bekleckert. Das muss man ehrlich zugeben. Was natürlich nicht heißt, dass sie nicht insgesamt eine großartige Übersetzerin war.

Direpol

Ein Beispiel statt aller: \"Der Professor wird es nicht merken, wenn ich mir ein Kosthäppchen nehme.\" Ich mag verblendet sein, aber für meinen Geschmack sind die Sprechblasen der Viereckigen Eier eine Serie von Ruhmesblättern der Übersetzerin. Was sind denn die Argumente zugunsten der norwegischen Kollegin?

Beppo

Fragen kostet nichts.

War Erika Fuchs eine gute Übersetzerin? War sie überhaupt eine \"Übersetzerin\"? War sie eine bessere Übersetzerin als Vivi Aagaard? Das sind natürlich Fragen, die man stellen darf. Aber es sind letztlich uninteressante Fragen.

Erika Fuchs war ein schwarzer Michelangelo, um es mal gleichzeitig sexistisch und rassistisch zu formulieren. Ihr Werk passt in keine Schublade. Da sind wir uns hier auf dem Brett doch einig.

Die obigen Fragen entspringen einer Hitparaden- oder Fußballligamentalität. Wozu will ich das denn überhaupt wissen? Macht Milka bessere Schokolade als Ritter Sport? Es kommt doch viel mehr auf das Individuum an, das die Schokolade gerade genießt.
Grunz!
Beppo

Ein Kojote ist und bleibt ein Hühnerdieb!