Der Entenhausener Stadtplan für Kinder

Begonnen von Der Sumpfgnom, 14. Jan. 2017, 21:48:16

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Ostsibirischer Korjakenknacker

Zitat von: CoolwaterHätte Barks für eine \"Erwachsenenzeitschrift\" berichtet – ich bin mir sicher, wir hätten mit ganz anderen Berichten zu tun. Barks hätte Licht auf Dinge geworfen, die für uns im Dunkeln liegen, weil er als Belieferer von \"Geschichten für Kinder\" zu ihnen schwieg. Es gibt ein verborgenes Entenhausen.

Dem letzten Satz ist nichts entgegenzusetzen, nur: textkritisch betrachtet müssen wir mit dem arbeiten, was wir haben. Mit rein spekulativen Aussagen (dass es in E. Sex und Toiletten gab) bewegen wir uns auf dem Niveau der Hypothese, dass Jesus überlebt hat und nach Indien abgehauen ist.

Will sagen: Wir dürfen nicht beliebig extrapolieren, und schon gar nicht linear. Unser als real postuliertes Entenhausen zeichnet sich ja gerade durch Nichtlinearität aus, das macht es als Forschungsgegenstand doch so spannend ...
------------------------
Frieden für die Ukraine!

Grkztrrrschwrzkajaaaa!

Duckimaus*

Wurde bei Western Publishing, der US-amerikanische Verlag, welcher Barks\' Geschichten (und auch weiter Disney-Comics) veröffentlichte, wirklich jede Barks-Geschichte veröffentlicht oder wurden auch welche abgelehnt? Falls letztes zutrifft, dann müssten doch noch Berichte bei Barks zuhause rumliegen, sofern dessen Verwandtschaft nicht alles weggeworfen hat.
Hat denn die D.O.N.A.L.D. mal nachgefragt, ob es noch unveröffentlichte oder nicht fertig gestellte Berichte gibt? Vielleicht finden sich dort auch Themen, die sonst nirgends erwähnt wurden.

Coolwater

Western Publishing hat vier Berichte abgelehnt. Zwei davon haben überdauert, zwei sind verschollen, Einzelheiten siehe hier: http://www.cbarks.dk/THEREJECTIONS.htm

Darüber hinaus hat Barksens Verlag eine Reihe von Geschichten um Einzelbilder, halbe oder ganze Seiten beschnitten, wobei das verschiedene Gründe haben konnte: Mal stieß man sich am Inhalt (\"Brutalität\"), mal brauchte man einfach Platz für Werbung.

Barks hat praktisch nie etwas weggeworfen. Was der Verlag an Barks zurückgeschickt hat, das hat in der Regel überdauert – auch Einzelbilder oder Seiten, die Barks selber noch beim Verfertigen des Berichtes entfernt oder ausgetauscht hat.

Dagegen war Western Publishing ein Schlamper vor dem Herrn. Was der Verlag nicht veröffentlicht und auch nicht an Barks zurückgesandt hat, das hat in der Regel auch nicht überdauert. Barksens Originale pflegte der Verlag nach dem Anfertigen von reproduktionssfähigen Hochqualitäts-Ablichtungen ohnehin im Ofen zu verfeuern – aus \"Platzgründen\".

Es ist davon auszugehen, daß alles nichtveröffentlichte Barks-Material, das der Verlag einbehalten hat, denselben Weg alles Irdischen genommen hat, wenn es bis heute nicht wieder aufgetaucht ist. Zu sagen, jene Berichte seien \"verschollen\", heißt ja, das Trostlose in ein optimistisches Wort zu kleiden. Nach Jahrzehnten der vergeblichen Fahndung nach diesen Schätzen muß man wohl feststellen: Sie sind verloren.

Man rauft sich die Haare: Der abgelehnte Bericht Eine stille Nacht von 1945 hat überdauert – weil Western ihn an Barks zurückgeschickt hat! Wenn ich die Geschichte noch richtig im Kopf habe, hat der Verlag den Bericht Barks sozusagen wieder vor die Füße geschmissen, weil er, der Verlag, ihn, Barks, für diesen Bericht nicht bezahlt hat. Klar: Bericht wird nicht veröffentlicht, also gibt\'s auch keine Kohle. Jedoch: Das Ding wandert zurück zu dem guten Mann, ist ja seins, wir haben\'s ja nicht abgekauft. – Dreist, aber \"korrekt\".

Nun der verschollene \"Golden-Apples\"-Bericht von 1952: Barks war schon etabliert und auf dem Zenit seines namenlosen Ruhms. Western war gegenüber seinem \"Starzeichner\" nicht mehr so dreist wie noch zu Anfang. Und hier lief, wenn ich es recht in Erinnerung habe, die Sache so: Der Verlag hat den Bericht zwar nicht veröffentlich – aber: Barks wurde dafür bezahlt. Somit ging der Bericht jedoch auch nicht an Barks zurück. Die goldenen Äpfel blieben im Verlag – und niemand sah sie je wieder.

Und gerade das ist nun das, was an der Geschichte zum Haareraufen ist: Man wünschte sich heute, der Verlag wäre auch 1952 frech gewesen und hätte Barks für einen nicht veröffentlichten Bericht auch nicht bezahlt – und dem Meister statt dessen sein Werk munter zurück ins Haus geschickt. Dann könnten wir uns des Berichts gewiß noch heute erfreuen.

Wieso der abgelehnte Bericht Der Milchmann von 1957 – also noch einige Jahre später als die \"goldenen Äpfel\" – bis heute überdauert hat, weiß ich aus dem Stegreif genau nicht – ob er (bezahlt, unbezahlt?) wieder bei Barks gelandet oder ausnahmsweise doch, worauf die Erläuterung im Verweis oben hindeutet, bei Western auf Eis gelegt statt ins Feuer geworfen wurde.

Was an seinerzeit nicht veröffentlichten Bildern, Seiten, Berichten überdauert hat, ist inzwischen vielfach publiziert worden. Bislang nicht veröffentlichtes Material dürfte – wenn überhaupt – aus den genannten Gründen aber tatsächlich noch am ehesten aus Barksens Nachlaß gefischt werden, kaum jedoch aus irgendwo hingeschleuderten Beständen des Verlagsarchives von Western Publishing... Ha! Was ist das Bernsteinzimmer gegen die goldenen Äpfel!

Ostsibirischer Korjakenknacker

geehrter Coolwater,

DANKE für diesen erhellenden und leider so wahren Beitrag. Insbesondere für den letzten Satz!

Gibt es \"Western\" eigentlich noch?

Und: das gehört eigentlich im DD mal ausführlich publiziert. Oder wurde das schon? Ich hab leider nicht alle Ausgaben ...
------------------------
Frieden für die Ukraine!

Grkztrrrschwrzkajaaaa!

Duckimaus*

Danke für die ausführliche Erklärung, Coolwater.

Eines wundert mich allerdings, diese Berichte wurden abgelehnt, weil sie zu gewalttätig sind. Dem widerspreche ich auch nicht, da zu große Brutalität für Kinder nicht geeignet ist. Wieso wurde dann der Bericht \"Der Feuerteufel\" akzeptiert, immerhin zündelt Donald überall rum, und das könnte die Kinder doch zum Nachahmen bringen? Oder hat es in den USA niemanden gestört? Immerhin wurde diese Geschichte nicht in Deutschland veröffentlicht, wenigstens etwas.

Coolwater

Zitat von: Duckimaus*Eines wundert mich allerdings, diese Berichte wurden abgelehnt, weil sie zu gewalttätig sind. Dem widerspreche ich auch nicht, da zu große Brutalität für Kinder nicht geeignet ist. Wieso wurde dann der Bericht \"Der Feuerteufel\" akzeptiert, immerhin zündelt Donald überall rum, und das könnte die Kinder doch zum Nachahmen bringen? Oder hat es in den USA niemanden gestört? Immerhin wurde diese Geschichte nicht im Deutschland veröffentlicht, wenigstens etwas.

In den vierziger Jahren ließ der Verlag noch wesentlich mehr an \"Gewalt\" durchgehen als in den Fünfzigern und Sechzigern. Western Publishing wurde im Laufe der Zeit immer vorsichtiger und überängstlicher, was \"Gewalt\" in seinen \"Comics\" betrifft. Das hat mit dem gesellschaftlichen Klima zu tun, mit Beginn der fünfziger Jahre wehte der Wind stärker gegen angebliche Gewalt in Comics. 1954 kam es dann ja auch zum sogenannten \"Comic Code\", einer faktischen Selbstzensur, die sich die Comicbuchverlage auferlegten: https://de.wikipedia.org/wiki/Comics_Code

Einige Jahre früher hatte man das alles eben lockerer gesehen. Den 1946 veröffentlichten Feuerteufel hätte Western zehn Jahre später sicherlich nicht mehr durchgehen lassen ...

Ein großes Thema in Barksens frühen Berichten ist ja auch der Kampf zwischen Donald und seinen Neffen. Später berichtet Barks ja kaum noch davon oder in wesentlich gedämpfterer Form. Konkret hatte sich die Mutter eines Lesers beschwert, daß die Sprache zwischen Donald und seinen Neffen in dem 1956 veröffentlichten Bericht Der Sofaexpreß (WDC 186) zu rüde sei. Western setzte Barks von dieser Kritik in Kenntnis, und der schrieb darauf einen kleinen Wutbrief an den Verlag, daß er den Konflikt zwischen Donald und seinen Neffen dann eben künftig nicht mehr behandeln werde.

Daß der Verlag bereits 1945 Eine stille Nacht zurückgehen ließ, lag weniger an der \"Gewalt\" an sich in dem Bericht als vielmehr an der Verbindung von Gewalt und Weihnachten.

Übrigens Feuerteufel: Hier hat Western ja immerhin die letzten Bilder entfernt, in denen Donald im Gefängnis landet. Daß eine \"Disney-Figur\" am Ende im Knast sitzt, das wollte der Verlag nicht. Die – von einem anderen Zeichner – neu angefertigten Schlußbilder, in denen Donald alles nur geträumt hat, geben dem Bericht ja einen vollständig anderen Dreh. Barksens ursprüngliche Schlußbilder dürften im Papierkorb oder Redaktionsofen gelandet sein. Die Carl-Barks-Collection präsentiert ein von Daan Jippes gezeichnetes \"restauriertes\" Ende.

Der Feuerteufel ist in Deutschland mehrfach veröffentlicht worden, erstmals in TGDD 89 (1987). Kann natürlich sein, daß man ihn davor jahrelang zurückgehalten hat, aus Angst, der Bericht könne für Kinder ungeeignet sein. Davon weiß ich nichts.

Allgemein zu Zensur bei Barks siehe auch noch hier: http://www.cbarks.dk/thecensorship.htm

Duckimaus*

Zitat von: CoolwaterDer Feuerteufel ist in Deutschland mehrfach veröffentlicht worden, erstmals in TGDD 89 (1987). Kann natürlich sein, daß man ihn davor jahrelang zurückgehalten hat, aus Angst, der Bericht könne für Kinder ungeeignet sein. Davon weiß ich nichts.

Da habe ich mich undeutlich ausgedrückt. Ich bezog mich damit auf das Micky-Maus-Heft, welches diese Geschichte nicht veröffentlichte und sich an Kinder richtet. In Deutschland wurde \"Der Feuerteufel\" laut INDUCKS nur in Comic-Alben veröffentlicht, welche sich an ältere Leser richten.
Dem Ehapa war das Thema zu gefährlich, es wurde nie im MM gezeigt, andere Länder machten sich offenbar keine Sorgen.

https://coa.inducks.org/story.php?c=W+OS++108-02

Coolwater

Heute besteht die Hälfte, vielleicht sogar die Mehrheit der Leserschaft des TGDD aus Erwachsenen, aber das war 1987 mit Sicherheit noch nicht so. Vor dreißig Jahren dürften noch ganz überwiegend Kinder und Jugendliche das Heft gelesen haben.

Aber richtig, in die Micky Maus hat es Der Feuerteufel noch nicht geschafft, und ich glaube ebenfalls, daß er\'s dort nicht hineinschafft, weil der Donald da ein bißchen arg zündelfreudig ist. Aus ganz anderen Gründen wird auch Barksens Wudu-Hudu-Zauber niemals in der MM zu lesen sein oder überhaupt in irgendeinem Heft, das am Kiosk zu kaufen ist. Hier war die Premiere 1985 in TGDD 83 gleichfalls auch schon die Abschiedsvorstellung, und der Bericht wurde seitdem nur noch in Barks-Gesamtausgaben und irgendwelchen Schmökern veröffentlicht, die es nur im Buchhandel gab. Gut, TGDD 83 wurde 1991 dann noch einmal neu aufgelegt.

Coolwater

Zitat von: \"Ostsibirischer Korjakenknacker\"Gibt es \"Western\" eigentlich noch?

Und: das gehört eigentlich im DD mal ausführlich publiziert. Oder wurde das schon? Ich hab leider nicht alle Ausgaben ...

Nach einer Geschichte voller Wandlungen ist Western Publishing 2001 anscheinend abgewickelt worden, tut unter anderem Namen aber noch immer Atemzüge: https://en.wikipedia.org/wiki/Western_Publishing

Über die äußeren Umstände und Zwänge, denen Barks bei seiner Berichterstattung ausgesetzt war, erfährt man in den begleitenden Aufsätzen in der Barks Library und der Carl-Barks-Collection sehr viel. Es mag sein, daß das alles im DD etwas unterbeleuchtet ist, und sicherlich besitzt nicht jeder Donaldist eine der Gesamtausgaben. In der Entenhausenforschung ist es natürlich gut, wenn man die Entstehungshintergründe der Berichte kennt und auch darüber im Bilde ist, wann Western tatsächlich Barks-Berichte zensiert oder sonstwie in ihnen herumgefuhrwerkt hat. Über Daniel Düsentriebs blöde \"Schule der Dorsche\" in Die Geheimwaffe (WDC 247) zum Beispiel braucht man sich nicht ernsthaft das Gehirn zu zermartern, wenn man weiß, daß der Verlag den Bericht an der entscheidenden Stelle um eine Seite gekürzt hat.